Als der Holländer Jacob Roggeveen am Ostersonntag des Jahres 1722 das Eiland Rapa Nui (Osterinsel) für seine Krone in Besitz nahm, bemerkte er im Logbuch, das wohl entlegendste Stück Land der Welt entdeckt zu haben. Einen Anspruch, den auch die Bewohner von Sankt Helena oder Tristan da Cunha für sich geltend machen. Und auch Jene einer Insel, die 1767 vom britischen Seekadetten Robert Pitcairn gesichtet wurde. Nicht zu unrecht. Aber gerade dieser Fakt machte das Eiland für einen gewissen Fletcher Christian interessant. Dem Anführer der wohl berühmtesten Meuterei in der Seefahrtsgeschichte. Dem Steuermannsgehilfen Seiner Majestät Schiff „Bounty“. Viele Legenden ranken sich um dieses Ereignis. Und vor allem Hollywood schürte sie. Etwa in der Verfilmung mit Marlon Brando und Trevor Howard, wo Captain Bligh nahezu als Dämon dargestellt wurde. Oder der Streifen mit Mel Gibson und Anthony Hopkins, wo der zusehende geistige Verfall des Schiffsverantwortlichen skizziert wurde. Die Wahrheit ist weniger blutig. Bligh war eigentlich nur Kapitänleutnant und hatte sich ständig mit Kompetenzfragen herumzuärgern. Sein Regiment war der damaligen Seefahrtsnorm durchaus angemessen. Es wird in neu aufgetauchten Dokumenten sogar als überaus milde beschrieben. Ein weitaus prosaischer Grund hat zur Meuterei geführt. Nach dem langen Aufenthalt in Tahiti, wo man Brotfrüchte für die Sklavenkolonie in Jamaika heranzog, verliebten sich viele Matrosen in die dort sehr freizügig lebenden Frauen. Auch Fletcher Christian. Dank der völlig desolaten Borddisziplin gelang es dem eher niederrangigen Christian schließlich, auf der Rückfahrt eine Meuterei vom Zaum zu brechen, im Zuge dessen Bligh und seine Gefolgschaft in der Tongasee auf einer Art Nußschale ausgesetzt wurden. Die fast 6000 Kilometer lange Fahrt des Kapitäns in den sicheren Hafen Kupang auf Timor mit primitivsten Navigationsmitteln gilt auch heute noch als Meisterstück der christlichen Seefahrt. Für die Meuterer begann eine ähnliche Odyssee. Auf Umwegen kehrte man nach Tahiti zurück, wo man aber keineswegs mehr sicher war. Mit Frauen und Proviant im Gepäck machte sich ein Teil des inzwischen zerstrittenen Haufens mit der „Bounty“ auf und suchte nach einem geeigneten Ort, wo man von der englischen Justiz nicht belangt werden konnte. Und fand ihn in der Insel Pitcairn, die auf den Karten der Admiralität nur unzureichend eingezeichnet war. Doch die Meuterei stand weiter unter einem schlechten Stern. Die Bounty wurde verbrannt, die einstigen Kameraden fielen gegenseitig über sich her. Nur einer überlebte. Der Matrose John Adams. Mit 10 Frauen und 23 Kindern. Er gilt als Urvater der Pitcairner. Jenen Menschen, die auch heute noch diese hafenlose Insel bewohnen. Mehr oder weniger abgeschnitten vom Rest der Welt. 50 Menschen, die in einem beinahe rechtsfreien Raum existieren. Was schließlich auch einen Riesenskandal heraufbeschwor. 1999 wurden jahrelange, schwere Fälle von Vergewaltigung und sexuellem Mißbrauch Minderjähriger bekannt. In einem kostenintensiven Mammutprozeß, der erst 2006 endete, wurden 6 Angeklagte verurteilt. Danach mußte eigens ein Gefängnis auf der winzigen Insel gebaut und Vollzugsbeamte aus Neuseeland eingeschifft werden. Da Pitcairn unter britischer Krone steht, war eine Verhandlung in Neuseeland nicht zugelassen worden. Pitcairn ist die reale Robinsonade. Ein Alptraum für jeden, der an die Bequemlichkeiten der Zivilisation gewöhnt ist. Ein Steinhaufen mitten im Pazifik, wo Neid und Mißgunst dem Gemeinschaftssinn gewichen sind. Und dennoch bleiben sie. Diese Handvoll Menschen. Auf Pitcairn. Lebend oder tot.
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