LESEPROBE
Montag, 25. Juni
Die Strecke von
Mürren nach Illmitz am Neusiedlersee war in etwa drei Stunden zu schaffen. Wenn
einem der Verkehr keinen Strich durch die Rechnung machte. Als wir die Autobahn
in unserem dunkelblauen Dacia Sandero verließen und uns auf das letzte
Teilstück der Reise begaben, war ich ziemlich zuversichtlich, zum prognostizierten
Zeitpunkt am Urlaubsort anzukommen. Ich war ein Mensch, der keine
Überraschungen liebte. Keine Veränderungen und vielleicht auch keine Abenteuer.
Mein Dasein verlief in seinen vorbestimmten Bahnen und damit gab ich mich auch
zufrieden. Nicht, weil es mir an Ehrgeiz gemangelt hätte. An Ambitionen etwas
aus meinem Leben zu machen. Nein, ich sah nur den Realitäten ins Auge. Und die
boten selten Platz für Illusionen. Ich lächelte meiner Frau Susan zu, die neben
mir auf dem Beifahrersitz ebenso mit dem Schlaf kämpfte wie meine fast
dreijährige Tochter Julia, die in einem Kindersitz auf die Rückbank geschnallt
war. Die Fahrt war bislang monoton verlaufen. Geprägt vom Asphalt und den
Schildern, die zur Orientierung darüber prangten. Nur Julia hatte hin und
wieder mit dem lautstarken Verlangen nach Aufmerksamkeit für etwas Abwechslung
gesorgt. Im Großen und Ganzen war aber alles glatt und angenehm verlaufen,
sodass ich das Tempo etwas drosselte und mir die Landschaft besah, die sich nun
vor unseren Augen auftat. Schilf, Wasser und weite, flache Ebenen waren ins
Licht der Mittagssonne getaucht. Grün, blau und braun dominierten das Spiel der
Farben. Ich liebte diesen östlichsten Winkel Österreichs vor allem wegen der
Ruhe, der Gelassenheit, die er ausstrahlte. Mit 41 Jahren lagen meine wilden
Lenze längstens hinter mir. Susan zeigte auf die ersten Rebstöcke, die nun in immer
größer werdender Zahl am Wegesrand auftauchten. Ich freute mich bereits auf das
erste Glas Wein, dass man uns zur Begrüßung in unserem Hotel anbieten würde.
Zumindest war das bei unseren vorherigen Besuchen so der Brauch gewesen. Meine
Frau war gut fünf Jahre jünger als ich und arbeitete im Mürrener Krankenhaus
als Krankenschwester. Da sie im fünften Monat schwanger war und in einem
Risikoberuf arbeitete, war sie vorzeitig karenziert worden und konnte nun im
Kreise der Familie die Zeit bis zur Geburt genießen, anstatt am Empfangspult
ihrer Station blödsinnige Aufnahmegespräche mit noch blödsinnigeren Patienten
zu führen. Ich war sehr froh, sie zumindest für eine zeitlang nicht an diesem
Ort zu wissen. Wir freuten uns bereits sehr auf unseren Nachwuchs und hatten
uns zu diesem Kurzurlaub ins Burgenland entschieden, ehe das nicht mehr so
einfach möglich war. Freitagmittags würden wir wieder in entgegen gesetzter
Richtung auf der Straße sein. Doch daran wollte ich in diesem Moment noch nicht
denken. Die schönen Momente im Leben vergingen ohnehin immer viel zu schnell.
Wozu sie dann auch noch durch trübe Gedanken weiter reduzieren? Wir erreichten
Illmitz exakt nach drei Stunden Fahrzeit und nahmen die Straße Richtung unserer
Unterkunft. Nachdem wir den Wagen am rückseitigen Parkplatz abgestellt hatten,
blieb ich kurz sitzen und atmete tief durch, während Susan unsere Tochter
abgurtete und aus dem Fahrzeug hob. Ich lächelte, als sie über die angrenzende
Blumenwiese lief und sich danach im Gras zu wälzen begann. Julia war unser
Sonnenschein, unser größter Schatz. Wir waren knapp fünfzehn Jahre verheiratet
gewesen, als sie zur Welt kam. Sie hatte unserem Leben, unserer Beziehung
wieder einen Sinn gegeben. Hatte das Feuer in unseren Herzen erneut entfacht. Julia
und Susan waren in vielerlei Hinsicht stets ein Rettungsanker für mich gewesen.
In den Phasen, wo ich dem Alkohol zu sehr zusprach ebenso wie in den Tagen der
Depressionen, wenn mir einmal mehr vor Augen geführt wurde, wie leer, wie
nichtssagend, wie trostlos niederschmetternd alles war, was ich jemals in
meiner bescheidenen, ziemlich erfolglosen Laufbahn als Schriftsteller zu Papier
gebracht hatte. Die Leute gaukelten mir vor, dass sie meine Bücher mochten,
dass sie ganz fasziniert von ihnen waren. In Wahrheit sahen sie aber nur in den
Spiegel und begannen zu lachen, da sie dabei plötzlich mein Gesicht sahen. Ich
verlor, und ich verlor groß. Vielleicht nur deshalb, weil ich mich selber gerne
in dieser Rolle sah. Wer Erfolg hatte, hatte Neider. Und wer keinen hatte, so
wie ich, musste sich zumindest deswegen keine Gedanken machen. Das Publikum
ließ mich links liegen und ich tat es ihm gleich. Wodurch ich in eine Situation
geriet, die ich als den doppelten Elfenbeinturm bezeichnete. In dem ich stur
saß und nicht zu unterscheiden vermochte, wo das Gehege anfing und der Zoo
endete. Ich stieg aus, schnallte mir meine kleine Bauchtasche um, die ich stets
auf Reisen bei mir hatte und nahm meine Frau an der Hand, während wir mit Julia
im Schlepptau zur Rezeption gingen. Das Hotel war im Stile eines Vierkanthofs
angelegt. Mit einer großen Rasenfläche im Innenhof sowie einer Vielzahl an
Weinreben und Rosenstöcken. Im Haupttrakt angelangt wurden wir von der
Hausherrin begrüßt, die uns vom letzten Aufenthalt sogleich wiedererkannte und
freundlich unsere Hände schüttelte. Während ich das Anmeldeformular für meine
Familie ausfüllte, brachte die Wirtin einen gespritzten Weißwein für mich und
zwei Gläser Traubensaft für meine beiden Damen.
„Hatten Sie eine
gute Anreise, Herr Neumann?“, fragte unsere Gastgeberin beflissen. Ich nahm
einen tüchtigen Schluck aus dem Henkelglas.
„Ja, lief wie am
Schnürchen. Ist ganz schön heiß heute.“ Das gute, alte Wetter. Wie oft schon
hatte es eine erzwungene Unterhaltung in Gang gehalten.
„Ja, da haben Sie
diese Woche wirklich Glück. Wenn man den Vorhersagen trauen darf, bleibt es mindestens
vierzehn Tage so.“ Na bitte. Das hörte sich ja vielversprechend an. Ich hasste
nichts mehr, als bei Regenwetter irgendwo herumzuhocken und auf Besserung zu
hoffen, die ohnehin nie eintrat. Es lagen also allem Anschein nach vier
herrliche Badetage vor uns. Nicht, dass ich ein großer Freund des Wassersports
gewesen wäre. Aber für Julia und Susan war es gewiss eine erfreuliche Aussicht,
einige unbeschwerte Stunden am See verbringen zu können. Nachdem uns der
Zimmerschlüssel ausgehändigt wurde, holte ich auf Raten unser Gepäck aus dem
Auto und nachdem alles an seinem Platz war, zog ich meine Schuhe aus und warf
mich der Länge nach aufs Bett. Susan drehte die Klimaanlage auf und Julia
verstreute ihre mitgebrachten Spielsachen am glattgeschliffenen, dunkelbraunen
Holzboden. Das Zimmer war modern eingerichtet, verfügte über einen breiten,
schattigen Balkon und ein geräumiges Badezimmer. Im breiten Schreibtisch, über
dem ein großer Flachbildschirmfernseher hing, war ein kleiner Kühlschrank
eingebaut, der mit hauseigenen Weinen, Bier und Limonade bestückt war. Ich
stand auf, griff mir eine kleine Flasche Bier, drehte den Kronkorken ab und
leerte sie in einem Zug. Susan legte in der Zwischenzeit die Badesachen zurecht
und nachdem wir alle drei dementsprechend angekleidet und mit Sonnencreme
eingeschmiert waren, fuhren wir ins etwa drei Kilometer entfernte Strandbad, das
man über eine Art Dammstraße erreichte.
Nachdem wir auf
der Liegewiese angelangt einen schattigen Platz unter einer zurecht gestutzten
Ulme gefunden hatten, bauten wir unsere Liegen auf, verstauten alle
überflüssigen Habseligkeiten in einer großen Strandtasche und liefen gemeinsam
zum nahen Wasser, in das wir schließlich über eine kurze, breite Treppe
eintauchten. Das kalte Wasser durchzuckte meinen ganzen Körper und schüttelte
mich durch. Doch schon bald gewöhnte ich mich daran und ich begann einigermaßen
vergnügt herum zu plantschen. Susan umklammerte unsere Tochter fest und als
auch sie den ersten Kälteschock überwunden hatten, bespritzten wir uns
gegenseitig mit Wasser, tollten herum, brachten Julia lauthals zum Lachen. Wenn
ich sie glücklich und vergnügt sah, wurde mir jedes Mal wieder ganz warm ums Herz.
Es gab nichts Schöneres auf der Welt, als das heitere Lachen eines Kindes. Und
ich war dankbar dafür, dass wir ihre zwar keine glamouröse, aber zumindest
erfüllte Kindheit schenken konnten. Julia und Susan waren die wichtigsten
Menschen in meinem Leben und ich war bereit, alles für sie zu geben. Nachdem
ich eine zeitlang das Seeungeheuer gemimt hatte und wir uns gegenseitig einen
großen, gelben Wasserball zugeworfen hatten, zog es mich wieder an Land. Die
beiden blieben noch etwas, doch für mich war es genug. Nachdem ich mich kurz
abgeduscht hatte, ging ich zurück zu unseren Liegen und streckte mich in einer
davon aus. Da ich über eine sehr empfindliche Haut verfügte, bedeckte ich mich
mit einem großen Badetuch, um der Sonne keine allzu große Angriffsfläche zu
bieten. Ein Sonnenbrand war das letzte, was ich hier gebrauchen konnte. Und
wenn ich nicht vorsichtig war, stellte sich dieser bei mir eher ein, als mir
lieb war. Nachdem Frau und Kind nach einer ganzen Weile ebenfalls zurück
kehrten, schlug ich vor Eis zu holen.
„Lass nur“,
antwortete Susan mit ihrer warmen, stets freundlichen Stimme. „Julia muss
pinkeln und da kann ich beim Zurückgehen gleich ein paar Lutscher mitnehmen.
Welche Sorte möchtest du denn?“ Ich schüttelte gleichmütig meinen Kopf.
„Ist mir egal.
Und was möchtest du haben?“, gab ich an Julia weiter. Sie hatte sich inzwischen
auf den Wasserball gesetzt und wetzte ungeduldig darauf auf und ab. Es war also
an der Zeit, dass sie zur Toilette kam.
„Erdbeere!“,
rief sie mir nach, als sich die beiden bereits wieder in Bewegung gesetzt
hatten. Ich hoffte, dass sie Wassereislutscher mit dieser Geschmacksrichtung
vorrätig hatten. Julia konnte nämlich ziemlich aufbrausend werden, wenn sie
ihren Willen nicht bekam. Eine Eigenschaft, die zweifelsohne von ihrer Mutter
stammte, wie ich stets zu sagen pflegte. Ich nahm einen Roman zur Hand, der mir
kürzlich auf einem Flohmarkt aufgefallen war, und begann darin zu lesen. Eine
sehr ungewöhnliche Geschichte über die ebenso ungewöhnliche Beziehung eines Vaters
zu seinem kleinen Sohn in einer Welt, die untergegangen war. Oder zumindest
drauf und dran war unterzugehen. Ich las drei oder vier Seiten und legte das
Buch dann wieder weg. Starrte hinaus auf den bügelglatten See, auf das gut zu
erkennende gegenüberliegende Ufer und auf den dunstigen Himmel. Ich fragte mich,
wie weit ein Schriftsteller wie dieser, dessen Zeilen ich gerade gelesen hatte,
bereit war zu gehen. Wie tief er sich selbst verletzen musste, um seinen Worten
Nachdruck zu verleihen. Bei diesem Gedanken kam mir Bernd Hauser in den Sinn.
Einer der erfolgreichsten Autoren dieses Landes. Zumindest nach Meinung des selbstherrlichen
Feuilletons. Hauser war der einzige mit dem ich in dieser Branche etwas mehr
Kontakt hatte. Wenngleich auch er sich mir gegenüber herablassend verhielt.
Genauso wie die Buchhändler, die Verleger, das Publikum. Hausers Erfolg
basierte hauptsächlich darauf, dass er bereit war sich völlig zu entblößen.
Ohne jegliche Skrupel ebenso sich selbst, wie auch andere auf jener Feder balancieren
zu lassen, die er hoch über einem unendlichen Abgrund in Händen hielt. Er
schrieb gut. Keine Frage. Aber er raubte sich aus. Und uns alle gleich mit. Was
mir fehlte, hatte er im Übermaß. Während ich nur zögernd und zaudernd die wahre
Bedeutung eines Wortes in endlosen Monologen zu hinterfragen suchte. Julia kam
mit einem bunten, monströs großen Eislutscher angelaufen und setzte sich neben
mich auf die Liege. Ich strich durch ihr schulterlanges, braunes Haar und gab
ihr schließlich einen leichten Kuss auf die Stirn. Susan überreichte mir mein
Eis und ich machte mich sogleich ans Werk. Für Süßigkeiten aller Art war ich
stets zu haben. Was auch meine gut fünfzehn Kilogramm Übergewicht erklärten.
„Woran hast du
gerade gedacht?“, kam es gewohnt messerscharf von meiner Frau. Sie durchschaute
jede Regung in meinem Gesicht. Selbst wenn sie sich unter der Haut verbarg.
„An ein
Arschloch“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ein tadelnder Blick traf mich
sofort. Und als ich Julias Lachen vernahm, war mir auch die Ursache dafür klar.
„Entschuldige“, sagte ich kleinlaut, befreite den hölzernen Stiel von den
letzten Eisresten und stand schließlich auf. „Habt ihr Hunger?“ Susan nickte
wohl wissend.
„Spätestens in
einer Stunde“, gab sie ruhig von sich. Sie wusste, dass ich hier eine Art
Stammlokal hatte, dass ich nun gedachte aufzusuchen. Am Rückweg würde ich
Hamburger und Hot Dogs mitnehmen, um meiner Abwesenheit zumindest den Anschein
einer Rechtfertigung zu geben. Eine Stunde also. Ich verabschiedete mich ohne
großes Brimborium und ging zügig an den Mietkabinen vorbei zu einem kleinen,
mit Buchsbäumen eingefassten Garten, in dessen Mitte ein quadratisch angelegter
Kiosk stand. Ich begab mich direkt an die Durchreiche und sah ins Innere. Ein
älterer Mann wendete gerade an einem ziemlich in die Jahre gekommenen
Edelstahlgrill Bratwürste, während im Wasserbehälter nebenan Frankfurter und
Debreziner langsam im Wasserdampf garten und auf ihre Abnehmer warteten.
„Guten Tag, Herr
Tschida!“, grüßte ich in unverbindlichem Ton. „Ein großes Glas Bier bitte.“ Der
Alte drehte sich um, kniff seine buschigen Augenbrauen einen Moment lang grimmig
zusammen, aber schließlich erhellte sich sein zuvor noch misstrauisches
Gesicht. Nein, es war kein Vertreter, sondern ein alter Stammgast.
„Rosi!“, rief er
seine Gattin herbei. „Herr Neumann ist wieder da.“ Susan und ich waren zum
insgesamt vierten Mal in Illmitz auf Urlaub. Vorigen Sommer erstmals mit Julia.
„Wer?“, fragte
eine sich langsam nähernde Frau. Als sie mich erkannte, zeichnete sich auch in
ihr Gesicht ein Lächeln. „Ach, der Herr Neumann!“, stieß sie nun hervor. Ja,
gute Kundschaft blieb Geschäftsleuten in Erinnerung. Nachdem wir uns fest die
Hände geschüttelt und nach dem gegenseitigen Befinden gefragt hatten, nahm ich
mein Glas an mich, setzte mich unter einen breiten Kastanienbaum auf eine
stabile Bank und stellte das Bier am Tisch vor mir ab. Die beiden unterhielten
sich abwechselnd mit mir und bedienten zwischendurch Gäste, die meistens Waren
zum Mitnehmen erstanden. Im Strandbad gab es vier Gastronomiebetriebe, wobei
dieser mit Abstand der Kleinste war. Aber gerade das gefiel mir. Hier stand der
Chef noch persönlich an vorderster Front und ließ nicht wie andernorts üblich ungarische
Lohnsklaven für sich ackern. Zudem hatten die Tschidas neben all dem sicherlich
nötigen Geschäftssinn noch so etwas wie Herz. Was in der heutigen
Tourismusbranche fast schon ein Anachronismus war. An jenem Tisch, an dem ich
mich nun befand, hatte ich schon einige gute Gedichte geschrieben. Womöglich
meine Allerbesten. Und auch das eine oder andere davon in meine mittlerweile
sieben veröffentlichte Romane eingebaut. Stets im Bewusstsein, dass man sie
nicht verstehen würde. Oder als Mittelmaß abtat. Alles, was aus meiner Feder
stammte, war unweigerlich zum Mittelmaß degradiert. Die großen Preise heimsten
andere ein. Die großen Ohrfeigen kassierte ich.
„Ihr letzter
Roman hat mir sehr gut gefallen“, behauptete die Frau des Alten. Da war es
wieder, dieses unterschwellige Lachen. Oder bildete ich es mir etwa nur ein?
Nein. Denn ansonsten hätte ihr mein Name sofort etwas gesagt. Und nicht erst,
als sie einen Meter von mir entfernt stand. Ich nickte artig lächelnd, trank
aus und begab mich erneut zur Durchreiche. Hier herrschte Selbstbedienung. Ein
weiterer Punkt, der mein Wohlwollen fand. Wenn ich etwas nicht leiden konnte,
dann auf einen herumirrenden Kellner zu warten, der die Bestellungen nach
Sympathie und Trinkgeld entgegen nahm und schon einmal einen Kantonisten wie
mich übersah. Nachdem ich zwei weitere Gläser hinuntergekippt hatte, mahnte
mich ein Blick auf die Uhr zum Aufbruch. Ich nahm Hamburger, Hot Dogs und
Pommes in Plastikboxen und Alufolie eingewickelt an mich, verabschiedete mich
bis zum nächsten Tag und ging zurück zu meinen Liebsten.
Wir saßen zum
Abendessen im Hotelgarten und genossen die Abendsonne ebenso wie die
aufgetischten Köstlichkeiten. Ich war zwar kein Gourmet, aber doch ein Freund
guter Küche und nachdem ich eine große Tasse Krautsuppe, ein gegrilltes
Hendlfilet mit regionalem Gemüse und Polentataler sowie zum Dessert eine
Mohntorte samt Schokosauce und Schlagobers gegessen hatte, fühlte ich mich
pudelwohl. Julia erkundete unter den wachsamen Augen meiner Frau die Anlage mit
ihren Spielgeräten für die kleinen Gäste und ich genehmigte mir noch ein Glas
Zweigelt, ehe wir in unser Zimmer aufbrachen. Nach der Körperpflege schlüpften
wir in unsere Pyjamas und Susan legte sich mit Julia schlafen, während ich mich
noch mit einer Flasche Sekt aus dem Kühlschrank auf den Balkon setzte. Als der
Abend dämmerte und wohlige Wärme meinen Körper umschlang, dachte ich an meine
Kindheit, meine Jugend und meine ersten Schritte ins Erwachsensein. Dachte an
das Gute, was mir in all den Jahren widerfahren war. Und an all die Abgründe,
die mich stets begleiteten. Ich war ein Rastloser, ein Zyniker, ein
Unzufriedener. Auch wenn ich es mir gegenüber verleugnete. Auch wenn ich so
tat, als hätte ich mich mit allem abgefunden. Mit allem arrangiert. Es war eine
Lüge. So wie wohl mein ganzes Leben eine Lüge darstellte. Ein immer kehrendes
Mantra. Eine ewige Sisyphusarbeit. Ich war weder glücklich noch unglücklich.
Weder euphorisch noch deprimiert. Ich war einfach in mir selbst gefangen. In
meinen eigenen Gedanken, meinen eigenen Wurzel, die sich tief in den Boden
eingegraben hatten. Mich zum Stillstand, zur Stagnation zwangen. Die Balkontür
ging auf und Susan trat hervor. Setzte sich auf den Sessel, der mir gegenüber
stand. Ich liebte sie, wenngleich ich diese Liebe als etwas Abstraktes ansah.
Ich liebte sie, weil sie mich lieben konnte. Um meiner selbst willen. Das war
mehr, als jemand wie ich erwarten konnte. Viel mehr. Susan sah etwas in mir,
was all die anderen übersahen. Selbst ich, der nicht mehr in der Lage war in
mich hineinzusehen. Zu sehr hatte ich mich in meinem Streben nach
Vollkommenheit verschüttet. Und auch gleich alle Menschen, die sich rund um
mich aufhielten.
„Sie schläft
jetzt“, sagte sie sanft. Ich lächelte.
„Ja, der lange Tag
hat sie dann doch geschafft. Aber warte auf morgen. Da hält sie uns wieder auf
Trab.“ Ich schenkte mein Glas voll. Susan durfte aufgrund ihrer Schwangerschaft
keinen Alkohol konsumieren. Was mich auch nicht weiter störte. Nur wenige Male
hatten wir in unserer gemeinsamen Beziehung miteinander getrunken. Und meist
hatte es unschön geendet. Ich blickte hoch zum Firmament und erläuterte den
sich uns auftuenden Sternenhimmel. Astronomie war eines meiner Steckenpferde. Susan
hielt davon eher wenig. Sie war da, wie in vielem anderen auch äußerst
pragmatisch. Aber gerade ihre Bodenhaftung war es, die mich letztlich davor
bewahrte zu versinken. Ich wusste, wie viel ich ihr zu verdanken hatte. Und wie
sehr ich ihre Geduld oft genug auf die Probe stellte. Ob alles Schicksal war,
was in dieser Welt, in unser aller Leben passierte, konnte ich nicht
beurteilen. Aber ich wusste, dass es Augenblicke gab, in denen man dieses
schwammige Gebilde namens Schicksal herausfordern musste. Ich wusste nur noch
nicht, wie nahe dieser Zeitpunkt bereits war.
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