Hure, Machtbesessene, Giftmörderin. Das Bild der Lucrezia Borgia (1480-1519) wurde im Laufe der Jahrhunderte wenig schmeichelhaft gezeichnet. Als Tochter von Papst Alexander VI. war sie eher ein Spielball der Machtinteressen ihrer Familie. So wurden ihre ersten beiden Ehen vom Vater annulliert, der dritte Gemahl ermordet und der vierte Gatte durch Erpressung vor den Traualtar gezwungen. Neun Kinder entsprangen diesen Verbindungen. Und weitaus mehr Spekulationen und Verleumdungen. Vor allem der Vorwurf der Blutschande mit Vater und Bruder Cesare wog schwer und nachhaltig. Auch Schriftsteller wie Victor Hugo, Komponisten wie Gaetano Donizetti und moderne Filmemacher reflektierten eher auf die Legende als auf die geschichtlich haltbaren Tatsachen. Nüchtern betrachtet war das Leben der Lucrezia Borgia, die bei der Geburt ihrer dritten Tochter verstarb, kaum das wilde, zügellose Treiben, das man mit ihrem Namen verbindet. Aber Legenden haben oft einen schwammigen Ursprung. Bei den Borgias liegt es zu einem Gutteil daran, daß die aus Spanien stammende Familie in Italien schon alleine durch ihre Herkunft wenige Sympathien hatte und deshalb immer wieder Diffamierungen ausgesetzt war. Was sie durch Kaltblütigkeit, Machtgier und Vetternwirtschaft wettzumachen wußte. Zwei Päpste entsprangen diesem Geschlecht. Und mit Cesare Borgia (1475-1507) einer der gefürchteten Staatsmänner und Generäle während der Renaissance. Zeitzeugen bezeichneten ihn schlichtweg als blutrünstigen Tyrannen, der mit väterlich-päpstlichen Segen den Kirchenstaat militärisch unter seine Kontrolle brachte. Niccolo Machiavelli nahm ihn als Vorbild für sein politisches Hauptwerk „Il Principe – Der Fürst“. Einen Leitfaden zur Erringung und Festigung der Macht, der auch heute noch große Beachtung findet. Auch Friedrich Nietzsche und Oscar Wilde widmeten Cesare Borgia Teile ihres Schaffens. Die Borgias waren eine Renaissance-Mafia. So wie es auch die Medici waren. Nur werden die aufgrund ihres Mäzenatentums für große Künstler heute in einem wesentlich milderen Licht gezeichnet. Die Wahrheit liegt wie üblich irgendwo dazwischen. In den undurchsichtigen Nebelschwaden der Geschichte. Dort, wo auch Lucrezia Borgias Geist nach Rehabilitation ruft. Und doch nie gehört wird. Denn eine Frau, die 600 Leuten vergifteten Wein reicht ist eben interessanter zu betrachten als jemand, der wortlos Befehle einer machthungrigen Familie befolgt. So gesehen ist Lucrezia Borgia nur eine Person in einer langen Liste von Menschen, die nicht das sind, was wir gerne in ihnen sehen. In einer Zeit, die so sehr der unseren ähnelt. In einer Zeit, wo die Wahrheit hinter schmutzigem Glas verblasst.