Michael Koller, geboren am 14. März 1972, lebt in Hoheneich bei Gmünd im Waldviertel. Nach Abschluss der Handelsakademie war er in unterschiedlichen Berufszweigen tätig und lernte so den Facettenreichtum des Lebens bestens kennen. Seine Leidenschaft war und ist das Schreiben. Zeitungsartikel, Kurzgeschichten, Gedichte, Romane und Internetblogs umreißen das Repertoire des Enfant Terribles der Waldviertler Schreibzunft. Nach dem Debütroman »Fallstricke« etabliert sich Michael Koller mit "Clara" als Autor niveauvoller Spannungsliteratur. Schön und grob. Harsch und liebevoll. Kaum alltäglich. Damit sind die Leitmaximen von Michael Kollers Schaffen treffend umschrieben.
Kurzbeschreibung:
Wieder ist Alt-Mürren Schauplatz eines Verbrechens. Der Waldviertler
Lagerarbeiter Michael Gruber hadert mit der Welt, die ihn umgibt. In dem Wiener
Großindustriellen Kurt Bergmann sieht er den Schuldigen für sein Unglück und
beginnt, einen Racheplan zu schmieden: Die Entführung von Bergmanns Tochter
Clara. Doch das Partygirl Clara kommt mit der Situation besser klar, als Gruber
gedacht hat - und die Entführung gerät außer Kontrolle.
Einschätzung:
Nach dem
Erfolgskrimi "Fallstricke" wird der Leser dieses Mal in die Abgründe der
menschlichen Seele entführt. Das Enfant Terrible der Waldviertler Schreibzunft
spielt mit Klischees, Vorurteilen und Urängsten und schuf damit einen wahren
Schocker der Extraklasse. Wer in eine Welt voll von Verzweiflung, Bösartigkeit
und subtilem Horror entführt werden will, ist mit dem zweiten Auftritt des
Webmasters des unvergleichlichen SV Eibenstein bestens bedient. Wer über Atemnot
und schwache Nerven verfügt, sollte jedoch besser die Finger davon lassen.
"Clara" - ein fesselnder Thriller vollgepackt mit Gesellschafts-Kritik,
verblüffenden Wendungen und einem epischen Showdown.
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Presseinformation:
„Nichts in dieser Welt ist vollständig. Das Ganze stets hinter endlosen Bildern verborgen. Es sind die Bruchstücke, die Fragmente, die unser Sein prägen. Unsere Geschichten, unsere Schicksale. Und unsere Angst."
Fragment 1 „Gegensätze“
1
Ich sprang über den Rand der Laderampe und verließ das Betriebsgelände. Niedergeschlagen schlurfte ich den Schotterweg entlang zu meiner alten Klapperkiste und hoffte im Stillen, dass sie anspringen möge. Der Werktag war vorbei. So wie jeder verfluchte Tag einmal vorbei ging. So wie er immer enden würde. Bis in alle Ewigkeit. Ohne Sinn, ohne Verstand, ohne jede Vernunft. Es war ein grässlicher Tag gewesen. Daran konnte auch die Sonne nichts ändern, die sich unerbittlich über meinem Haupt ergoss. Ich schloss den Wagen auf und begab mich auf den Heimweg. Dreißig Minuten Asphalt lagen vor mir. Dreißig Minuten Wahnsinn. Ich drehte das Radio an und ließ den Tag gedanklich noch einmal Revue passieren. Doch ich fand nichts, was sich zu erinnern lohnte. Nur Leere. Nur der Drang dem zu entfliehen.
2
Clara war perfekt. Und so fühlte sie sich auch, als sie sich gemütlich in die Kaschmirdecke schmiegte und den nahenden Abend herbeisehnte. Die Abende waren immer großartig. Ganz zu schweigen von den Nächten. Schon bald würde sie sich schick machen für die heutige Party. Sie liebte Partys. Den Champagner, die tolle Musik, die Männer, die sie mit Komplimenten überschütteten. Den Luxus zu tun, was auch immer ihr beliebte. Im Stillen bedauerte sie die Kreaturen, die sich tagtäglich dem Joch der Arbeit hingaben. In ihrer Welt spielte der Existenzkampf keine Rolle. Philip hatte ins „C3“ geladen. Nur das stand im Fokus. Ach, was für ein herrlicher Abend würde das werden. Eisgekühlter Wodka aus der Dreiliter-Magnumflasche, tolle DJs und jede Menge Verehrer. Was sollte sie nur anziehen?
3
Ich nahm an meinem üblichen Tisch Platz und bestellte ein Glas Bier. Es war der erste Genuss des ganzen Tages. Das Bier, das geschmeidig in meinen Körper eindrang. Ich kam regelmäßig hierher und war so etwas wie ein Faktotum. Eine zur Gewohnheit gewordenen Randerscheinung für die hier verkehrenden Menschen. Doch es waren nicht die Leute, die mich interessierten. Es war das Leben an und für sich. Das Kommen und Gehen. Das stetige Treiben in einer unaufhaltsamen Welt. Nur wenige blieben dauerhaft sitzen und gaben sich den Genüssen des Gerstensafts voll hin. Nur wenige? Nun, wohl kaum einer außer meiner bescheidenen Wenigkeit. Doch gerade das machte mir Spaß. Dieser endlose Fluss, der nirgends hinführte. Ein Glas Wein hier, ein Schnaps dort. Niemand blieb lange. Die Konventionen erlaubten es nicht. Nicht in einem Dorf wie Alt-Mürren, wo jeder jeden kannte. Wo mich jeder kannte. Aber ich blieb hocken. Aus Freude genauso wie aus Trotz. Denn was scherte mich die Konvention? Ich trank des Trinkens willen. Der Tag hatte genügend Opfer verlangt. Womöglich zu viele. Ich bestellte noch ein Glas und hoffte auf Wirkung. Doch die würde sich erst sehr viel später einstellen.
4
Clara zog ihre Strümpfe mit einem lasziven Lächeln auf ihrem purpurnen Mund an. Eigentlich war es um diese Jahreszeit noch zu warm für Strümpfe, doch sie liebte den Reiz daran. Den Reiz, den junge Männer in ihrer Nähe verspürten, wenn sie rein zufällig über ihre Nylons strichen und eine Vorstellung davon bekamen, wie sich ein echter weiblicher Körper anfühlte. Sie liebte diese Erotik, diese Unnahbarkeit und spielte sie voll aus. Nach einigen Telefonaten mit ihren langweiligen Freundinnen hatte sie erfahren, dass auch Presse und Fernsehen mit großer Zahl bei der Party erscheinen würden. Welch ein Traum. Einmal das Rampenlicht wie France Marriott zu genießen. Einem Vorbild, welchem sie schon lange nacheiferte. An diesem Abend würde sich also eine Gelegenheit bieten, in vorderster Reihe für Aufmerksamkeit zu sorgen. Als Clara all das verinnerlicht hatte, rief sie ihr „Mädchen“, wie der Geldadel ihre weiblichen Bediensteten auf ebenso vertrauliche wie herablassende Weise nannte, und befahl die Herausgabe der edelsten Garderobe und des teuersten Schmucks, den sie in ihrem jungen Leben angehäuft hatte.
5
Ich saß in meinem Wohnzimmer mit einer Flasche Rotwein vor mir auf dem Tisch und starrte ins Leere. Don Giovanni sang gerade davon, wie sehr er alle Frauen liebte. Nun, ich hatte nur eine geliebt. Und sie war gegangen. Unwiderruflich. An einen Ort, den niemand kannte. Meine Augen blieben trocken. Es gab nichts mehr zu beweinen. Selbst meine eigene Verzweiflung nicht. Meine beiden Katzen schmiegten sich noch fester an mich und spendeten Trost. Meine beiden Katzen waren alles, was geblieben war. Der Rest war bloß noch schmerzliche Erinnerung. Ich nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche und lauschte weiter Mozarts Genie. Schloss die Augen und begann über mein Leben, meine Existenz, meinen Sinn, meine Zukunft nachzudenken. Ich hatte einen miesen Job, der gerade den Tariflohn abwarf, lebte in einem von meinen Eltern vererbten Haus, das zusehend verfiel und vereinsamte zusehends. Ich hatte genug von den Menschen. Den Freundschaften, den Enttäuschungen, die sie ständig bereithielten. Etwas Dunkles, Finsteres hatte sich nach und nach in meine Seele geschlichen und breitete sich dort aus wie ein endlos langes, wallendes Tuch, das alles verdeckte was einmal bestand hatte. Die Uhr tickte. Die Zeit rückte näher, wann all das unerträglich wurde und mein kleines Geheimnis ihre Bestimmung erfüllte.
6
Clara lächelte selbstbewusst in die Kamera. Geschickt, divenartig setzte sie ihr blondes, langes, wallendes Haar in Szene, spielte verführerisch mit ihren Lippen und sprühte einen Hauch von Sex in den Äther. Auf diese Gelegenheit hatte sie lange gewartet. Sich abzuheben von der restlichen Nobelgesellschaft, in der sie sich bewegte. Clara war durchaus nicht zum ersten Mal im Fernsehen zu bewundern, aber ein Interview im Societymagazin des Staatsfernsehens war wie der Aufstieg in eine ganz neue Liga. Die Berichterstatter waren schon seit längerem an ihr interessiert. Der Durchbruch der Industriellentochter Clara Bergmann als umschwärmtes Partygirl stand kurz bevor. Und sie würde sich diese Chance nicht entgehen lassen. Was sie von sich gab, spielte schlussendlich keine Rolle. Es war belanglos. Sie musste nur gut aussehen. Und das tat sie. Ja, das tat sie ganz gewiss. Der Reporter, der das Gespräch mit Clara geführt hatte, verabschiedete sich verträumt von ihr und zog mit seinem Team ab. Sie hatten hier alles im Kasten. Und weitere Partys waren im Gange. Aber Clara Bergmann hatte Eindruck hinterlassen. Ihre aufreizendes, aber dennoch elegantes silbernes Kleid, die teuren Schuhe und Accessoires, ihr dezentes Make-up, ihr wunderschönes Haar. Dieses engelhafte Gesicht, dieser Blick, der etwas ganz anderes versprach.
7
Ich fuhr nach der Arbeit auf direktem Weg nach Hause. Zu wütend um die Gesellschaft weiterer Menschen zu ertragen. Jene während meines neun Stunden Tags hatte vollends gereicht. Die ständigen Schikanen störten mich nicht. Im Gegenteil. Sie bestärkten mich in meinen Gedanken. Was mich störte war die Art und Weise, wie mit Nichtprivilegierten verfahren wurde. Friss oder stirb. Der eine verkroch sich, der andere fuhr die Ellbogen aus. Verteidigte seine eigene erbärmliche Existenz. Aber zu welchem Preis? Zu immer größerer Abhängigkeit gegenüber einem Arbeitgeber, der in seiner Villa saß und auf dem Ameisenhaufen herumtrampelte, wann es ihm beliebte. Die Gesellschaft riss immer mehr entzwei. Schuf Slums und Biotope. Produzierte Elend und verkaufte Glück. Nur wenige Meter voneinander entfernt. Und doch getrennt wie fremde Welten. Ich zündete die Flamme am Gasherd und setzte Wasser auf. Wieder kamen die Erinnerungen in mir hoch. So oft hatten wir gemeinsam gekocht, gelacht, unser Leben gelebt. Einfach und bescheiden. Und doch unendlich glücklich. Ich machte den Fernsehapparat an, während ich meine Mahlzeit zubereitete. Eine Sendung über irgendwelche VIPs lief auf Kanal 1. Ach, wie ich diese Parasiten mit ihren schicken Kleidern, ihren SchönheitsOPs, ihren fetten Autos und noch fetteren Brieftaschen hasste. Ich griff zur Fernbedienung, als sie plötzlich am Bildschirm erschien. „Clara Bergmann, Industriellentochter“ wurde kurz eingeblendet. Bergmann. Wie sehr ich diesen Namen verachtete. Eine unbändige Wut kroch in mir hoch. Ich empfand ein Gefühl, dass Hass als etwas Schönes definieren würde. Ein Gefühl, dass Grausamkeit nicht beschreiben konnte. Ich registrierte nicht was sie sagte. Ich registrierte gar nichts mehr um mich herum. Nur dieses Gesicht brannte sich in mir ein. Dieses Gesicht, das mich aufs Niederträchtigste verhöhnte. Dieses Gesicht, das alles an mir verabscheute. Mir das Recht zu Leben absprach. Ich konnte das nicht zulassen. Nicht dieses wunderschöne Gesicht, das in Wahrheit eine Fratze aus dem tiefsten Schlund der Hölle für mich war.
8
Clara legte ihr Designerhandy beiseite. Das war nun schon der zwölfte Anruf seit der Ausstrahlung ihres Interviews gewesen. Und eine Stunde war noch nicht rum. „Ach Clara, du warst wundervoll! Clara, Schatz, wir liegen dir zu Füßen! Oh, wie schön du warst!“ Ja, ja, ja. Sie wusste es auch so. Neben ihren Freunden waren auch zwei Klatschreporterinnen auf den Plan getreten, die sie mit Fragen gelöchert hatten. „Woher haben Sie dieses tolle Kleid? Wo lassen Sie Ihre Haare machen? Haben Sie eine feste Beziehung? Wohin gehen Sie heute Abend?“ Na bitte. Nun hieß es am Ball bleiben. Natürlich musste sie ihre Garderobe erweitern. Zweimal mit demselben Kleid gesehen und schon war man tot. Sie kannte die Spielregeln. Hatte sie lange genug studiert. Sie musste ihre Einladungen künftig sondieren. Die Guten von den Schlechten trennen. Ihren ganzen persönlichen Umgang neu überdenken. Großes war im Anflug. Neue Bekanntschaften von unabsehbarer Dimension. Die „Schweinebaroness“, wie sie ihre Neider hinter vorgehaltener Hand in Anspielung auf das Fleischimperium ihres Vaters nannten, war in die oberste Riege der Prominenz ihres Landes aufgestiegen. Darüber war sie sich im Klaren. Die gesellschaftlichen Hot Spots standen ihr nun offen. Und die Verehrer würden mehr denn je Schlange stehen. All das ging ihr durch den Kopf, während sie sich für den Abend zurechtmachte. Immer in Begleitung der emsigen Hände ihres Mädchens, das für Clara gar nicht existierte. Genauso wenig existierte wie ein Mann, den ihr erster großer Triumph in Rage versetzt hatte.