Freitag, 30. November 2018

Die Herrschaft der Grossväter


Mikhail Volkov wächst Anfang der Siebzigerjahre in der Ukraine auf. Sein Vater Alkoholiker, seine Mutter gleichgültig, flüchtet er sich vor den Misshandlungen im eigenen Heim in die scheinbar heile Welt des Kommunismus. Tritt nach Jahren voller Demütigungen schließlich eine Lehre im Traktorenwerk von Charkiw an und wird, ins wehrpflichtige Alter gekommen, in die Rote Armee an den Ural einberufen. Zu diesem Zeitpunkt ist Volkov längstens zum Mörder geworden. Vordergründig als vermeintliches Opfer der Umstände. In Wahrheit aber als Produkt der Welt, die ihn umgibt. In der Kaserne angekommen, wird er mit dem brutalen und erniedrigenden System der Dedowschtschina konfrontiert. Der Herrschaft der Großväter, die alle Rekruten des Abschlussjahres über die Neuankömmlinge ausüben. Mischa steckt diese Bewährungsprobe aufgrund der Qualen in seiner Vergangenheit beinahe locker weg und wird schließlich selbst ein Großvater. Der eine blutige Spur hinter sich herzieht. Zurück im zivilen Leben, begibt er sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den Dunstkreis der Moskauer Mafia und flieht, nachdem man ihn übers Ohr gehauen hat, schließlich zur Fremdenlegion, die ihm fünf Jahre lang Unterschlupf gewährt. Dort wird sein Hang zur Gewalt weiter geschürt, ehe er nach dem Ausscheiden aus dieser Armee den Weg zurück ins zivile Leben sucht und eine Ausbildung als Personenschützer absolviert. Es folgen ebenso turbulente wie mörderische Jahre in Deutschland, den USA und in Israel, bis er letztlich in Wien seine Zelte aufschlägt. Und dort an einen alten russischen Intellektuellen gerät, der ihn im gleichen Maße fasziniert, wie er auch von ihm irritiert ist. Und als die zarte Knospe der Liebe zu einer jungen, hübschen Frau verwelkt und sich Volkov in seinem Beruf als Leibwächter immer mehr an der eigenen Kundschaft reibt, steht dem nihilistischen Unwesen des Hauptprotagonisten nichts mehr im Wege. Immer geprägt von der lange vergangenen und doch stets präsenten Herrschaft der Großväter. Wäre da nicht der alte Russe, der wie eine Sphinx über der ganzen Geschichte thront.

Abwechselnd im Tagesgeschehen und in autobiografischen Rückblenden wird das Leben der Hauptfigur Mikhail Volkov durchleuchtet, das bis auf wenige Ausnahmen eine beklemmende Szenerie offenbart. Die Figur des Hauptprotagonisten wird dabei bis runter zu den Gebeinen seziert und liefert mitunter das verstörende Bild einer zerschundenen Seele, der selbst in den hellsten Momenten ihre Monstrosität nicht abhandenkommt. Mikhail Volkov ist all das was man hasst, wenn man sich frühmorgens im Spiegel betrachtet und spätabends erkennen muss, dass dieses Bild an einem miesen Tag ganz nahe neben einem selbst steht.

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